Zwischen Journalismus und qualitativer Sozialforschung

Freya Bartels

Auch für die interaktive Karte möchten wir mit Menschen über ihre persönliche Migrationsgeschichte sprechen. Kurz nach Weihnachten wird das erste Gespräch stattfinden. So wie andere Gruppen, stellen wir uns die Frage, wie das eigentlich funktioniert. Einige von uns haben noch nie ein Interview geführt, bei anderen ging es bisher immer darum, möglichst nach wissenschaftlichen Standards zu arbeiten. Jetzt geht es darum, journalistisch zu arbeiten. Aber wie funktioniert ein journalistisches Interview und passt dieser Zugang zu unserem Projekt?

Richtet man sich nach Jürgen Friedrichs und Ulrich Schwinges, ist ein journalistisches Interview ein reines Frage-Antwort-Spiel. Die interviewende Person stellt die Fragen, die interviewte Person antwortet. Um mehr und bessere Informationen zu bekommen, ist es neben den vorbereiteten und teils abgesprochenen Fragen auch eingeplant, dass Rückfragen gestellt werden und bei Kontroversen nachgehakt oder konfrontiert wird.

Für unser Vorhaben scheint diese Form des Interviews allerdings nicht sinnvoll zu sein. Uns geht es nicht darum, kritische Themen zu besprechen, Missstände aufzudecken, oder PolitikerInnen in die Bredouille zu bringen. Wir interessieren uns vielmehr für die persönlichen Geschichten unserer InterviewpartnerInnen. Wir möchten, dass sie uns so viel wie möglich erzählen und das zu einem sehr privaten Thema. Dafür dürfen die interviewten Personen uns nicht als Feinde wahrnehmen, als Bedrohung. Wir müssen es schaffen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, davon überzeugen, dass wir verantwortungsvoll mit den Daten umgehen, die sie uns bereitstellen. Zudem dient das Interview uns lediglich zur Beschaffung von Informationen. Es wird nicht eins zu eins in Text umgesetzt, sondern die gewonnenen Informationen werden von uns aufbereitet und in anderer Form publiziert.

Wir werden also eher Gespräche führen als journalistische Interviews. Offene Fragen stellen und versuchen zum Reden zu animieren, ist unser Rezept. Diese Form des Gesprächs ähnelt vielmehr einem narrativen Interview der qualitativen Sozialforschung. Idealtypisch würden wir bei diesem Vorgehen den Interviews keinerlei Struktur von unserer Seite aus geben; ein Leitfaden ist nicht notwendig; es gibt lediglich einen Narrationsstimulus zu Beginn und einen Nachfrage- und Bilanzierungsteil am Ende.

Um uns selbst aber eine Orientierung zu bieten und flexibler darauf reagieren zu können, wenn der Redefluss stockt, haben wir uns in der Gruppe dazu entschieden, nicht strikt diesem Ideal zu folgen. Wir haben nun einen Leitfaden mit offenen Fragen erstellt, der die unterschiedlichen Themenkomplexe unseres Projekts abdeckt. Sollte es notwendig werden, sind wir darauf vorbereitet engere Fragen zu stellen und unseren GesprächspartnerInnen damit einen Rahmen zu bieten, an dem sie sich bei ihren Erzählungen orientieren können.

Literatur: 
Friedrichs, Jürgen; Schwinges, Ulrich: Das journalistische Interview. Wiesbaden 2015.

Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch, Silke; Lehmann, Albrecht (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001: 165 – 186.

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