Um/Brüche in Ost- und Ostmitteleuropa als historische Jubiläen – Wie blicken wir in die Vergangenheit?

Klaas Anders

2019, das heißt 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion oder auch 25 Jahre nach dem Abzug der – ehemaligen – Roten Armee aus Deutschland und Ostmitteleuropa. Dieses „Jubilieren” historischer Ereignisse scheint ein wichtiger Prozess zu sein. Zumindest so wichtig, dass auch dekoder und wir uns anlässlich dieser Jubiläen mit den historischen Ereignissen beschäftigen wollen. Aber wieso eigentlich?

Um die Relevanz von historischen Jubiläen zu verstehen, hilft die Definition des Jubiläums durch die Kulturwissenschaftlerin Marketa Spiritova:

„Die Europäische Ethnologie versteht historische Jubiläen als Knotenpunkte, in denen individuelle Erinnerungen, Erfahrungen und (Alltags-)Praktiken sowie makrokon- textuelle gesellschaftliche (Erinnerungs-)Diskurse zusammenlaufen.”

Diese Knotenpunkte sind laut Spiritova Elemente eines kulturellen Gedächtnis (nach J. Assmann) und fungieren damit als Träger kollektiver Erinnerungsmuster. Anhand der Frage, welche Ereignisse eine Gesellschaft als kollektive Erinnerungsfeiern inszeniert und wie diese Ereignisse interpretiert werden, lässt sich die Konstitution einer Gesellschaft ableiten. Wichtig dabei ist zu verstehen, dass der eigentliche Gegenstand der Erinnerung immer die Gegenwart, weniger die Vergangenheit als solche ist. Erinnerung ist ein Abbild der sozialen Umstände oder des Erinnernden.

Auch wenn wir also versuchen, anhand historischer Quellen eine Debattenschau zu re/konstruieren, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass wir diese Quellen nicht objektiv betrachten können. Wir assoziieren bestimmte Erzählungen und Motive mit dem Zerfall des Staatssozialismus in Ost- und Ostmitteleuropa. Dabei besteht das Risiko, dass wir bestimmten Stimmen eine größere oder kleiner Rolle in der damaligen Debatte zusprechen, weil wir aus dem heutigen Blick in die Vergangenheit bestimmten AkteurInnen bestimmte Rollen zuschreiben.

Vergangenheit ist daher eben kein monolithes Gebilde, sondern im Wandel durch den Rahmen, in dem sie betrachtet werden kann. Die Geschichtswissenschaft hat daher eben keinen dezidierten Wahrheitsanspruch.

Literatur:

Spiritova, Marketa: Das Jubiläum als Event. Die ‚Samtene Revolution‘ in der populären Erinnerungskultur, in: Radonic, Ljiljana/Uhl, Heidemarie (Hg.): Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Zur Neuverhandlung eines kulturwissenschaftlichen Leitbegriffs. Bielefeld: 2016, S. 159-182, hier: S. 163.

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