Natalie Živković
Es scheint beinahe unvermeidlich: Beschäftigt man sich mit den russlanddeutschen (Spät-)Aussiedlern, stolpert man im World Wide Web über den thematischen Zusammenhang zwischen den Russlanddeutschen und der AfD. Narrative, die mit dem sog. Fall Lisa konstruiert wurden, bevölkern die Medienlandschaft und halten sich hartnäckig; so schleicht sich bei uns nach Google-Schnellrecherche erst einmal der Eindruck ein: Ein großer Teil der Russlanddeutschen wählt die AfD. Ist das so?
Seit dem „Fall Lisa“ von 2016 schien das mediale Schlaglicht grell auf die Russlanddeutschen. Er wurde eindringlich diskutiert – oder vielmehr die Bevölkerungsgruppe, der das Mädchen angehört, das sich ausdachte, von „Südländern“ entführt und misshandelt worden zu sein. Das Gerücht brachte damals tausende Russlanddeutsche auf die Straßen, die gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik demonstrierten. Online finden sich zahlreiche Beiträge, die das Ereignis medienwirksam aufgriffen:
ARD wartet bei YouTube mit einem Video auf und stellt schon im Titel die Frage Russlanddeutsche und die AfD: Die neue Lieblingspartei der Aussiedler? Sie versprechen, auf „Spurensuche“ zu gehen – das Ergebnis zeichnet ein eher pessimistisches Bild, was das zukünftige Wahlverhalten der (Spät-)Aussiedler anbelangt. Ein Artikel des Spiegels beschreibt die Russlanddeutschen als besonders anfällig für Manipulationsversuche der AfD und suggeriert das Bild einer homogenen, rechtskonservativen Migrationsgruppe. Der Titel ist selbstbewusst gewählt: Alternative für Russlanddeutschland. Die Welt zweifelt gar an der Demokratiehörigkeit der „Schutzbefohlenen Moskaus“ und befürchtet, so könnte man meinen, unsichere Kantonisten. Nicht weit davon steht der Befund, aufgrund ihrer Herkunft einen Hang zu Verschwörungstheorien zu haben, wie hier attestiert wird.
Eine Studie zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2017 widerlegt diese „Sorgen“: 15% der Stimmen erlangte die AfD unter den Russlanddeutschen. Studienleiter Achim Goerres konstatiert, dass von einer nennenswerten Abweichung des Wahlverhaltens von der bundesrepublikanischen Gesamtbevölkerung nicht die Rede sein könne. Hier eine Kausalität zu behaupten, sei problematisch. Auch Jannis Panagiotidis, Juniorprofessor für Migration und Integration der Russlanddeutschen gibt an, dass das Ergebnis der Studie eher auf eine allgemeine Rechtstendenz innerhalb der Gesamtbevölkerung verweise, als etwa auf eine rechts dominierende Gesinnung „der“ Russlanddeutschen.
Die Plakate der Demonstranten jedenfalls sprechen für sich: „Meine Heimat bleibt Deutsch“ – berufen wird sich damit auf die Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung sowie auf das vom Bekenntnis der nationalen Identität abgeleitete Recht darauf, mitzubestimmen, wer zum Kollektiv gehört und wer nicht. Im spezifisch „ausländischen“ die Ursache für die Wahl der AfD zu finden – wie es in den oben genannten Beiträgen häufig versucht wird – erscheint wie ein unglücklicher Versuch, das eigene Problem mit dem Rassismus verlagern zu wollen. Die lapidare Tatsache, dass es sich bei den Russlanddeutschen nicht um einen monolithischen Block handelt, sondern um Menschen mit grundlegend unterschiedlichen Stellungen in der Gesellschaft, wird ignoriert. Einen weitaus differenzierteren Beitrag leistet beispielsweise Tatjana Schmalz in ihrem Artikel Das Vermächtnis des Falls Lisa. Hier lohnt sich ein Blick!