Es werden uns die geliebten russischen Birken empfangen

Klaas Anders

Im Sommer 1994 reden fast alle deutschen Medien von der kontroversen Verabschiedung der russischen Truppen in Berlin. Gabriele Goettle, eine Journalistin der linksliberalen Tageszeitung „taz”, stellte dies ebenfalls fest und fand es daher interessanter, sich das sogenannte „Deutsch-Russische Volksfest in Wünsdorf“ anzusehen. „Es werden uns die geliebten russischen Birken empfangen“ weiterlesen

Eine ganz besondere Männerfreundschaft?

Klaas Anders

„Die Kampagne zeigt Wirkung. Der Abschiedsplan, von den Männerfreunden Kohl und Jelzin schon vor Wochen am Telefon besprochen, steht plötzlich weit oben auf der Tagesordnung des Staatsbesuchs.“

Bei der Betrachtung des zeitgenössischen Pressespiegels um den Abzug der russischen Truppen aus der Bundesrepublik Deutschland fällt ein Narrativ immer wieder auf: die „Männerfreundschaft” oder auch „Saunafreundschaft” zwischen Russlands Präsidenten Boris Jelzin und dem deutschen Kanzler Helmut Kohl. „Eine ganz besondere Männerfreundschaft?“ weiterlesen

Ordnung und Disziplin

Jakob Koppermann

Dieser Debattenbeitrag, am 7. Februar in der Pravda abgedruckt, fällt nicht in unseren Untersuchungszeitraum, ist aber zu schön, um ihn nicht zu erwähnen:

„Ist es denn kein Fehler, die totale Demokratisierung der Gesellschaft zu verkünden und dabei die andere Seite der Medaille zu vergessen – nämlich die Lenkung der Disziplin und Ordnung im Land? Jedem, der auch nur ein klein wenig mit Theorie und Politik vertraut ist, ist klar, dass die Disziplin auch ohne Demokratie überlebt, die Demokratie jedoch ohne Disziplin undenkbar ist, weil sie sich sonst unweigerlich in ein gesellschaftspolitisches Chaos verwandelt bzw. als solches wiedergeboren wird.“

Vladimir I. Brovikov ist Mitglied des ZK der KPdSU und Botschafter in Polen. Auf einem Plenum der KPdSU zur Vorbereitung des 28. Parteitages, bei dem Gorbatschow die Eröffnungsrede hielt, protestierte er gegen angestrebte Reformen. Es wurde vorgeschlagen, die zentrale Rolle der KP für den Staat abzuschaffen, um Ideen und Kräfte der Bevölkerung freizusetzen. Brovikov allerdings scheint zu glauben, dass sich alle vor allem mal zusammenreißen müssten, um der wirtschaftlichen Misere zu entkommen. Er steht damit beispielhaft für reformunwillige Kader. Das mag allerdings auch eine Perspektive der Sieger der Geschichte sein, denn die Furcht vor Chaos durch zu weit gehende Reformen war nicht nur in der Sowjetunion verbreitet.

Quelle:

Karner, Stefan et al.: Der Kreml und die deutsche Wiedervereinigung 1990. Interne Sowjetische Analysen. Kriegsfolgen-Forschung. Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 16. Berlin 2015.

500 000 Spekulanten und Autohändler?

Klaas Anders

Eine der Zeitungen, die wir uns im Rahmen des Projektes genauer ansehen werden, ist das „Neue Deutschland“. Diese Zeitung war von 1946 bis 1989 das publizistische Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, kurz SED. Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der Auflösung der DDR befand sich die Zeitung ähnlich wie die SED in einer tiefen Sinnkrise. Die SED unterzog sich schließlich einem aufwendigen Reformationsprozess und wurde 1990 zur Partei des Demokratischen Sozialismus, kurz PDS. Das „Neue Deutschland“ bleibt weiterhin im Besitz der Partei und versuchte sich ebenfalls neu in den Spannungsfeldern zwischen DDR-Nostalgie und Reformismus, zwischen Ost und West zu orientieren. Natürlich war der Abzug der russischen Truppen ein viel diskutiertes Thema im Osten Deutschlands, als dessen Stimme sich das „Neue Deutschland“ sah. So kommentierte am 02.9.1994 Klaus Herrmann, der ständige Korrespondent der Zeitung in Moskau:

„Über solche politischen sind auch die menschlichen Probleme nicht zu vergessen. Wo werden die heimgeholten Soldaten und Offiziere leben und wie? Schließlich kehren nicht, wie vielfach suggeriert, 500 000 Spekulanten und Autohändler heim, sondern vor allem freudig und stolz begrüßte Väter, Söhne und Familien nach Erfüllung einer einzigartigen Pflicht. Jetzt gehen sie auf die Suche nach anständigem Obdach, ehrlicher Arbeit und leidlichem Auskommen. Im Rückblick auf die Vergangenheit und beim Ausblick auf die Zukunft gibt es im Rußland dieser Tage durchaus gemischte Gefühle. Schließlich folgt auf alle Paraden und hehren Worte der Alltag eines Reiches in der Krise.“

Deutlich wird hier vor allem eines: auch im „Neuen Deutschland“ scheint es gemischte Gefühle gegeben zu haben. Welche Topoi noch in der Zeitung (und in anderen Medien im Osten Deutschlands) mit dem Abzug der russischen Truppen verbunden wurden, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten recherchieren und hier illustrieren.

Literatur und Quellen:

Hermann, Klaus: Rußland zeigt gemischte Gefühle. Moskau bereitet sich auf den Empfang seiner heimkehrenden Soldaten vor, 02.09.1994,  in: https://www.neues-deutschland.de/artikel/504784.russland-zeigt-gemischte-gefuehle.html?sstr=Abzug|Russische|truppen, (eingesehen am: 23.04.2019).