Lea Pörtner
Erinnerungen können auf viele verschieden Arten weitergegeben werden. Viele denken dabei zunächst an Erzählungen, Fotos, Briefe oder vielleicht Filme.
Aber auch Gemälde waren viele Jahrhunderte beziehungsweise Jahrtausende ein wichtiger Übermittler von Erinnerungen, obwohl dies heutzutage weniger präsent ist.
Auch Russlanddeutsche hielten ihre Erfahrungen und Vergangenheit in diesem Medium fest. Das Museum für Russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold verfügt über eine große Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen, die sich mit dem Leben in der Sowjetunion befassen.
Von dort kommen auch die Werke, die für diesen Blog nach langer Recherche endlich gefunden werden konnten und nun hier vorgestellt werden.

Wie bereits hier beschrieben, war das Ausleben der eigenen Religion in der Sowjetunion nicht immer einfach. Man hatte nicht nur mit Repressalien zu rechnen, sondern es bestand auch immer eine gewisse Angst vor einer möglichen Verhaftung und einem daraus resultierenden Aufenthalt in einem Arbeitslager.
Der KGB war in manchen Regionen bekannt für sein rigoroses Vorgehen gegen Gläubige. Die Gefahr, die durch das Gläubig sein entsteht, stellt der Künstler Ernst Dyck in dieser Zeichnung dar:
Zu sehen ist eine Hausdurchsuchung im Jahr 1950 bei seinem Vater Cornelius, welcher als Prediger in Podolsk im Oblast Orenburg tätig war. Die Beamten suchten explizit nach subversiver Literatur wie beispielsweise Bibeln, welche in diesem Haus auch gefunden worden sind. Solch ein Fund barg immer die Gefahr, verhaftet und in ein Arbeitslager gebracht zu werden. Etwas, was anderen Mitgliedern dieser Familie schon widerfahren war.

Eine Verhaftung fand allerdings meistens nachts, zwischen zwei und vier Uhr statt. Oft kam der Geheimdienst, wie der NKWD, mit dem Schwarzen Raben. Dies ist ein Lastwagen, der mit einer Plane bedeckt war, um die Verurteilten abzuholen. Solch eine nächtliche Verhaftung zeigt das Gemälde von Heinrich Brogsitter.
Dieses Auto war für Bürger ein Zeichen der Angst, denn eine Verhaftung verhieß selten etwas Gutes. Oft bedeutete dies ein Aufenthalt in einem Arbeitslager und somit auch die Ungewissheit, wann oder ob man seine Familie überhaupt wiedersehen würde.
Aus politischen Gründen erlebten die Russlanddeutschen nicht nur die große Deportation im Jahr 1941, sondern litten auch unter der „Deutschen Operation“.
Die „Deutsche Operation“ war Teil verschiedenster Repressionen, denen die Deutschen seit der Machtergreifung der Bolschewiki ausgesetzt wurden. Dazu muss man wissen, dass Deutsche bereits im Zarenreich mit Diskriminierung zu kämpfen hatten, wie zum Beispiel das Verbot der eigenen Sprache und Sanktionen, die sich im Laufe der Zeit und insbesondere mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verschlimmerten.
Zudem waren die deutschen Regionen nach der Machtergreifung der Bolschewiki der neuen Sowjetmacht nicht unbedingt positiv gegenüber eingestellt, weswegen die politischen Maßnahmen in diesen Republiken gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt wurden. Die Bewohner zeigten ihren Protest auf unterschiedliche Art und Weise: So wehrten sich die Bauern gegen die Kollektivierung während andere nicht am sowjetischen Leben teilnahmen, wie beispielsweise durch Ablehnung einer Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen.
Am 25. Juli 1937 erließ das NKWD den Befehl 00439, die „Operation zur Ergreifung von Repressivmaßnahmen an deutschen Staatsangehörigen, die der Spionage gegen die UdSSR verdächtig sind“. Dies war eine politisch initiierte Säuberungsaktion. So wurden zunächst alle Deutschen verhaftet, die in Rüstungsbetrieben arbeiten oder gearbeitet haben. Diese Zahl war allerdings überraschend gering, weshalb auch ihre Bekannten verhaftet wurden.
Forscher gehen davon aus, dass zwischen 1937 und 1938 circa 69.000 – 73.000 Deutsche verhaftet worden sind. Mehr als drei Viertel von ihnen wurden demnach erschossen.

Trotz aller Angst war die Religion auch für viele Insassen der Arbeitslager immer noch sehr wichtig, denn sie konnten sich an ihrem Glauben festhalten, sich gegenseitig aufmuntern und zusammen Hoffnung schöpfen. Auch die antireligiöse Propaganda oder die möglichen Strafen konnten die Gläubigen nicht an der Ausübung ihres Glaubens hindern. Genau das ist auf dieser Zeichnung „Heimliches Bibellesen im Gefängnis“ zu sehen: Es bestand immer die Gefahr, dass eine Wache auf die Gläubigen aufmerksam werden könnte und sie weiter bestrafen könnte.
Die Zeichnung beruht auf den Erzählungen von Cornelius Dyck, dem Vater des Künstlers. Er berichtete in den frühen fünfziger Jahren von den Widrigkeiten bei der Religionsausübung in der Sowjetunion und seinem Arbeitslageraufenthalt.

Auch Johann Warkentin, der Großvater des Künstlers Dyck, war in einem Arbeitslager interniert. Er verbüßte seine „Strafe“ allerdings nicht in einem herkömmlichen GULag, sondern in der Sonderkategorie „Arbeitsarmee“ – die mit den Deportationen ab 1941 in den Ural und den asiatischen Teil des Landes aufgebaut wurden. In diesem System arbeiteten unter anderem mehrere tausende Russlanddeutsche unter schwersten Bedingungen. Sie waren im Kohleabbau, im Straßenbau, im Kanalbau oder auch im Schienenbau beschäftigt. Warkentin selbst war laut Zeitzeugenberichten im Holzabbau, einer ebenfalls schweren körperlichen Arbeit weit abseits der Heimat.
Das Leben in den Arbeitslagern war nicht einfach. Die Häftlinge hatten vor allem unter Unterernährung und der schlechten Hygiene zu leiden. Dazu kam die schwere Arbeit, in diesem Falle die Holzverarbeitung.
Johann Warkentin wurde 1937 verhaftet und in ein Arbeitslager im „hohen Norden“ interniert und verstarb dort ebenfalls. Sein Tod ist in der gezeichneten Szene zu sehen. Das Werk gründet auf Erzählungen von Freunden und Zeitzeugen des Verstorbenen. Dieser war, aufgrund der schlechten Versorgung stark unterernährt und schaffte eines Abends die Rückkehr vom Arbeitsdienst in die Zelle zurück nicht mehr. Er verstarb, wie viele andere, weit abseits der Familie und Freunde.
Literatur:
https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/249325/die-deutsche-operation