Nina Englert
Was sollen wir über Russlanddeutsche sagen? Vor dem Seminar hat sich kein Mitglied unserer Gruppe konkreter mit der Geschichte der Russlanddeutschen befasst, keiner von uns hat einen direkten Bezug. Was sollen wir erzählen? Über wen? Gibt es da nicht eine andere Möglichkeit? Wie können wir die potentiellen ProtagonistInnen selbst zu Wort kommen lassen?
Im Seminar wurden wir dann auf das journalistische Format Protokoll aufmerksam gemacht: Ein vorher geführtes Interview wird zum Fließtext in der ersten Person. Der Text wirkt daher sehr authentisch. Das Protokoll ist jedoch kein transkribiertes Interview, die AutorInnen verändern den Interviewtext, sodass er als Fließtext gut lesbar wird. Ist diese Verfremdung des Gesagten zu verzeihen?
Wir glauben die Antwort muss „ja“ lauten und stehen damit nicht alleine da: Swetlana Alexijewitsch hat 2015 den Literatur-Nobelpreis erhalten für ihre Werke, die schon seit drei Jahrzehnten auf dem Prinzip des Protokolls beruhen. In ihrem Werk „Tschernobyl – Eine Chronik der Zukunft“ erzählt sie beispielsweise die Geschichten der Menschen, die sie während der Recherche getroffen hat, auf eine sehr packende und emotionale Art. Dadurch erzeugt sie eine Nähe zwischen dem Protagonisten und dem Leser, die anders nicht entstanden wäre. Ihr literarischer Umgang mit den Quellen wird allerdings oft von HistorikerInnen kritisiert. Die Zeitschrift Osteuropa widmet der Autorin eine ganze Ausgabe. In Heft 1-2/2018 werden viele Aspekte ihres Schaffens beleuchtet.
Die eigene Rolle als JournalistIn oder WissenschaftlerIn wird beim Protokoll in den Hintergrund verlegt. Der Erzählstil wird direkter, der Leser wird nicht durch Fragen unterbrochen, wie es bei der direkten Darstellung journalistischer Interviews der Fall ist und auch die Meinung der AutorInnen ist bei guten Protokollen nicht erkennbar.
Wer sich ein Bild über das Format machen möchte, aber nicht gleich ein ganzes Buch lesen will, der kann Artikel wie „Protokoll einer Lehrerin in Brasilien: So lebt es sich als Deutsche in São Paulo“ von Kathrin Fomm auf Spiegel Online lesen oder direkt bei dekoder.org: „Journalisten in der Provinzfalle“ im Original von Viktor Wilissow und Stanislaw Murdy. Am Artikel auf dekoder.org werden wir uns in der Gruppe orientieren.