Lea Pörtner
Das Ausleben der eigenen Religion war als Sowjetbürger oft schwer. Besonders in den Anfangsjahren der russischen SFSR wurden Gläubige verfolgt, was dazu führte, dass sich die Anzahl an religiösen Bürgern schnell dezimierte. So wurden Kirchen zerstört oder religiöse Anführer ermordet. Auch kam es zu „Umerziehungsmaßnahmen“, die die begonnene Säkularisierung unterstützten sollte. Deswegen entschieden sich viele, ihren Glauben weniger offen auszuleben.
In der teilweise mennonitischen Gemeinde von Kussak waren die Auswirkungen der Repressalien manchmal noch wahrnehmbar, wie dieses Foto zeigt:

Hier ist zu sehen, wie ein Mann ein Baby im Arm hält. Viele weitere Leute sind anwesend. Könnte eine Taufe sein, oder etwa nicht?
Wer auf diese Frage mit „ja“ geantwortet hat, liegt richtig. Wer auf diese Frage mit „nein“ geantwortet hat liegt ebenfalls richtig.
Diese Dorfgemeinde feierte, aufgrund der Angst vor Repressionen, keine Taufen, sondern die „Begrüßung des Neuankömmlings in der Dorfgemeinschaft“. Wenn ein Kind neugeboren wird, versammeln sich die Gläubigen und besuchen die betreffende Familie. Nachdem das Kind allen vorgestellt wurde, gab es Kaffee und Kuchen. Es ist also eine Taufe unter dem Schleier eines ganz normalen Besuches durch die Dorfgemeinschaft.
An dieser Geschichte ist wunderbar erkennbar, welchen Einfluss die religiösen Verfolgungen auf eine repressierte Minderheit haben kann und wie sie versuchen, ihre Traditionen aufrechtzuerhalten.
Veröffentlichung des Fotos mit Erlaubnis des Besitzers
Literatur:
Gerhard, Adelaide; Vries, Wilhelm de: Christentum in der Sowjetunion. Heidelberg-Waibstadt, 1950
Beljakova, Nadezda Alekseevna; Bremer, Thomas; Kunter, Katharina: „Es gibt keinen Gott!“ Kirchen und Kommunismus. Eine Konflikgeschichte. Freiburg 2016